Das ist europaweit einmalig. Heute ist auf dem Altonaer Friedhof in Hamburg das erste Grabfeld exklusiv für Fußball-Fans eröffnet worden: In diesem Falle für Anhänger des Hamburger SV.
Beerdigungen in einer einem Stadion nachempfundenen Anlage, in einem Sarg mit den Vereinsfarben und der Raute - das alles ist jetzt möglich.
Andreas Mäsing, der Vorsitzende des "Vereins zur Förderung der deutschen Friedhofskultur", äußert sich im folgenden Interview über Fußball, Tod und Erinnerungskultur.
1) Ist der Glaube an ein Leben nach dem Tod bei Fußball-Fans größer als bei anderen Menschen, die sich nicht in solchen Bestattungsgemeinschaften beerdigen lassen?
Dies kann man sicher nicht pauschalisieren. Die Fußball-Fans als solche, zumindest die Hardcore-Fans, haben aber sicherlich eine sehr intensive Beziehung zu den Themen Erinnerung, Tradition und Vergangenheit, Begriffen, die unmittelbar wiederum mit Tod und Sterben in Verbindung stehen. Der Weg vom Fußballstadion zum Friedhof erscheint deshalb nur oberflächlich als ungewöhnlich. Das Sinnstiftungspotential des Profifußballs ist für seine Anhänger immens. Der Profifußball hat deshalb ähnliche Funktionen wahrgenommen wie früher die Kirchen. Fußballvereine haben eine oft bis in das 19. Jahrhundert zurück reichende Geschichte und verbinden deshalb ganze Generationen durch eine reiche Erinnerungskultur: von Gedächtnisorten wie Stadien, von Gedenkstätten wie Vereinsmuseen bis hin zu kleineren Memorabilia wie Eintrittskarten oder Sammelbildern von Spielern. Deshalb ist es selbstverständlich, dass sich in diesem Zusammenhang neben der Frage nach der Vergangenheit und den Traditionen des Vereins auch die nach den verstorbenen Mitgliedern, Spielern und sonstigen Vereinsrepräsentanten stellt. Nehmen Sie als Beispiel nur den Kult um Fritz Walter in Kaiserslautern.
2) Wäre ein solcher HSV-Fanfriedhof auch in größerer geografischer Entfernung vom HSV-Stadion oder von Hamburg denkbar? Ist der Heimatbezug für den letzten Ruheplatz insbesondere auf einen Fanfriedhof ganz wesentlich?
Der enge Bezug zu einem Verein impliziert meistens auch eine starke Affinität zur Heimatstadt des Klubs. Da es in der Ferne auch naturgemäß weniger Fans des eigenen Vereins gibt als in der Vereinsstadt, wird es einen eigenen HSV-Friedhof wohl niemals in München geben. Aber abgesehen von diesen praktischen Bezügen: Ich habe sehr oft gelesen, dass Fans ihre Gräber so ausgerichtet haben wollten, dass sie mit den Augen in Richtung Vereinsstadion liegen. Hier ist ein ausgesprochen sakral-räumlicher Bezug zu erkennen, ähnlich der Ausrichtung muslimischer Toter nach Mekka. Die Verstreuung der Totenasche auf dem Spielfeldrasen, in England und Holland schon an der Tagesordnung, die Einrichtung von Grünflächen als "Gardens of Remembrance" an englischen Stadien und jetzt Friedhofsanlagen wie in Hamburg: Fußballfans haben einen ausgeprägten Sinn für Erinnerungsorte. Und diese Orte sollten so nahe wie möglich an den Stätten ihrer Lebensinhalte liegen.
3) Ist die Gestaltung des Friedhofsareals als Fußballplatz ästhetisch und moralisch vertretbar - "passt" das auf einen Friedhof?
Ja, auch wenn es den ein oder anderen vielleicht seltsam berührt. Der Friedhof ist aus unserer Sicht immer ein Friedhof der Menschen.So wie unser Land immer multikultureller wird, wird auch unsere Friedhofskulturimmer differenzierter. Meines Erachtens ist es eine gute Sache, den Menschen ein "zu Hause" auch im Tod zu geben, mit all ihren Vorlieben, Besonderheiten und Kulturen. Viele sind mitLeib und Seele Fanihres Fußballvereins und diese Hingabe wollen sie auch im Tod zeigen.Unsere Friedhöfe sind doch das, was wiraus ihnen machen.Friedhöfe müssen Raum für Individualität geben. Sind sie groß genug, können unterschiedliche Areale getrennt voneinander ganz unterschiedliche Bedürfnisse befriedigen. Wenn ein Friedhof dies nicht bietet, müssen wir uns nicht wundern, wenn sich die Menschen für andere Orte der letzten Ruhe entscheiden. Mit solchen Projekten wird ein Beitrag zu Erhaltung eines wichtigen Kulturgutes - demFriedhof - geleistet.
4) Muss der Friedhof evtl. hier sogar noch offener werden, z. B. sollten auch Punk- und Heavy-Metal-Fans solche Fan-Friedhöfe mit ihrer spezifischen Ästhetik einrichten dürfen?
Meine Antwort ist ein ganz klares: Ja!Ist der Bedarf da, müssen die Menschen den Friedhof zu ihrem Friedhof machen. Der Friedhof ist kein Museum, sondernin seiner Entwicklung immer in Bewegung, denn er ist ein Bestandteil unserer Gesellschaftskultur. Natürlichappellieren solche besonderen Friedhofsbereiche an die Toleranz der Menschen.Aber auch da ist es wie im richtigen Leben: Leben und Leben lassen.Unser Verein begrüßt eine lebendige Friedhofskultur.