Fachzeitschrift für den Garten- und Landschaftsbau

Welche Chancen und Herausforderungen bietet der rasante gesellschaftliche Wandel für urbanes Grün und die grüne Branche? Diese Frage stand im Mittelpunkt des Kongresses „Grün für die Gesellschaft - die Gesellschaft für Grün“ am 12. November 2014 im Allianz Forum, Berlin. Über 450 Teilnehmer - Repräsentanten aus Politik, Verbänden, Wissenschaft, Kultur, Fachöffentlichkeit sowie Vertreter der grünen Branche - traten dabei in einen angeregten und intensiven interdisziplinären Dialog. Zu den Referenten zählten unter anderem Kanzleramtsminister Peter Altmaier, der Philosoph Richard David Precht und Dr. Michael Vesper, Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Die Veranstaltung fand anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Bundesverbands für den Garten- und Landschaftsbau e.V. (BGL) statt.

Kanzleramtsminister Peter Altmaier (Foto: BGL)

BGL

Nach der Begrüßung durch BGL-Präsident August Forster zeigte der niederländische Zukunfts- und Trendforscher Rob Creemers eindringlich auf, wie die fortschreitende Digitalisierung und der rasche technologische Wandel in dramatischer Weise die künftige Arbeitswelt, unser Leben und unser Freizeitverhalten verändern werden. Mit Blick auf die Herausforderungen des weltweiten Klimawandels werde urbanes Grün eine immer wichtigere Rolle für die nachhaltige Entwicklung unserer Städte spielen, so Creemers.

Die Gesundheitswissenschaftlerin Prof. Claudia Hornberg von der Universität Bielefeld verwies in ihrem Vortrag auf die immer noch unterschätzte positive Wirkung von Stadtgrün als Gesundheitsressource, insbesondere für Kinder. „Grüne Räume steigern die körperliche Aktivität, beugen Übergewicht vor, verbessern die motorischen Fähigkeiten und erhöhen die soziale Interaktion.“ Deshalb gelte es, so Hornberg, die Grün- und Spielräume bedarfsgerecht zu planen und instandzuhalten.

Dr. Michael Vesper, Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), machte anschließend deutlich, welchen Beitrag der Sport zu mehr Lebensqualität in unseren Städten leistet: „Dieses hohe Potenzial muss systematischer und konsequenter als bisher für eine nachhaltige Stadtentwicklung genutzt und in die Handlungsstrategien der Kommunen einbezogen werden.“ So könnten die potenziellen Bewerbungen von Berlin oder Hamburg um die Olympischen Spiele 2024 bzw. 2028 neue Akzente für das erfolgreiche Zusammenwirken von Natur und Grün, Sport und Stadtentwicklung setzen, so Vesper.

Im Interview mit der Moderatorin der Veranstaltung, Andrea Ballschuh, erläuterte Joshua David, Präsident der Friends of the High Line aus New York, welche Faktoren für den Erfolg des weltweit beachteten Grünprojeks auf einer ehemaligen Hochbahntrasse in Manhattan ausschlaggebend waren – und vor welchen großen Herausforderungen „New York’s Park in the Sky“ mit Blick auf die künftige Finanzierung und den Erhalt des Areals steht.

Im zweiten Teil der Veranstaltung erläuterte die Journalistin und Autorin Katja Kullmann das aktuelle Phänomen Urban Gardening und beschrieb, was dieser Trend mit bürgerlichem Widerstand zu tun hat. Ursprünglich als Gegenbewegung zur Kommerzialisierung des öffentlichen Raums entstanden, sei die Idee inzwischen im gesellschaftlichen Mainstream angekommen.

Holger Robrecht, Deputy Regional Manager der internationalen Nachhaltigkeitsinitiative ICLEI, wies in seinem Vortrag auf die zentrale Funktion von Städten bzw. grüner Infrastrukturen für eine nachhaltige Entwicklung hin, insbesondere für das Erreichen der Klimaschutzziele.

Der Philosoph Richard David Precht veranschaulichte anschließend, wie engagierte Bürger – bisweilen gegen den Widerstand der Stadt – in eigen initiierten Projekten vor Ort für mehr Lebensqualität in ihren Quartieren sorgen. Wenn es um die Finanzierung und Realisierung eines grünen Lebens- und Wohnumfeldes gehe, könne man sich nicht mehr allein auf die Kommunen verlassen. „Auch die klassische Planung „von oben“ ist überholt“, sagte Precht: „Künftig kommt es darauf an, Bürger frühzeitig in Grünprojekte einzubinden und fair zu beteiligen.“ Alte „Feindlinien“ zwischen Amateuren und Profis gelten bei der Gestaltung öffentlicher Grünräume nicht mehr. „Der Amateur startet ein Projekt, braucht aber den Profi, damit es gelingt“, so Precht. „Das Bedürfnis nach Grün wächst – und die grüne Branche kann ein Profiteur dieses Wandels sein.“

Precht nahm – ebenfalls wie Katja Kullmann und Rob Creemers – an der Podiumsdiskussion zum Thema „Lebendiges Grün – Privileg oder Grundrecht?“ teil. Komplettiert wurde die Gesprächsrunde durch Uwe Lübking, Beigeordneter beim Deutschen Städte- und Gemeindebund, sowie BGL Vizepräsident Eiko Leitsch. „Grün ist den Menschen wichtig und muss daher als Teil der Daseinsvorsorge anerkannt werden“, forderte Leitsch und verwies auf eine aktuelle forsa-Umfrage in zwölf deutschen Großstädten. Danach seien vier von fünf Befragten dafür, Parks und Grünflächen von Einsparungen in den öffentlichen Haushalten auszunehmen. Uwe Lübking wies in seiner Antwort auf die angespannte Haushaltslage in vielen Kommunen hin: „Über die Erfüllung von Rechtsansprüchen, wie zum Beispiel die Bereitstellung von Kindergartenplätzen, hinaus ist vielfach kein finanzieller Spielraum vorhanden.“ Um mehr Leistungen zu ermöglichen, sei mehr Bürgerengagement gefragt. Richard David Precht konterte, mit Bürgerengagement allein sei es nicht getan: „Wir brauchen ein neues Denken und eine bürgerfreundlichere Mentalität in den Verwaltungen.“

Einig waren sich die Gesprächsteilnehmer, dass es letztlich auf ein konstruktives und kreatives Zusammenspiel aller Akteure (Politik, Verwaltung, Bürger, Unternehmen und Experten) ankomme, um den Weg für mehr bzw. bedürfnisorientierte Grünprojekte freizumachen.

In seinem Vortrag stellte Peter Altmaier, Chef des Bundeskanzleramtes, die Position der Bundesregierung zu naturnaher Stadtbegrünung vor: „Städte zukunftsgerecht aufzustellen ist eine komplexe Aufgabe – die grüne Branche leistet dazu einen wertvollen Beitrag.“ Altmaier versprach, die Kommunen von Seiten des Bundes künftig weiter zu entlasten – unter anderem um mehr finanzielle Freiräume für Grünprojekte zu schaffen. Gleichwohl gelte es, so Altmaier, verstärkt auch über innovative Finanzierungsmodelle, unter anderem Public-Private- Partnerships, nachzudenken.

 

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