In Schleswig-Holstein und Hamburg bringt die Willkommenslotsin Özge Acar Geflüchtete und landschaftsgärtnerische Fachbetriebe zusammen. 20 Praktika hat sie innerhalb eines halben Jahres vermittelt, sechs der ehemaligen Praktikanten sind nach wie vor in ihrem Betrieb.
Özge Acar steht in einem Klassenzimmer des Fachverbandes Garten- und Landschaftsbau Schleswig-Holstein (FGL S.-H.) und verteilt Fragebögen. Normalerweise werden hier angehende Landschaftsgärtner im Rahmen ihrer Überbetrieblichen Ausbildung unterrichtet. Heute jedoch sitzen an den Schulbänken zehn Schülerinnen und Schüler der Berufsintegrationsklasse 16-5 der Beruflichen Schule Pinneberg. Es sind Flüchtlinge zwischen 16 und 18 Jahren, die gemeinsam mit ihren Lehrern Alma Kazic und Felix Wolter zu einem beruflichen Schnuppertag nach Ellerhoop gekommen sind. Özge Acar hat den Tag organisiert. Sie ist eine so genannte Willkommenslotsin, die für die landschaftsgärtnerischen Fachverbände Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern arbeitet. Sechs Lotsinnen und Lotsen gibt es aktuell deutschlandweit im Garten- und Landschaftsbau. Gefördert werden sie vom Programm „passgenaue Besetzung“ des Bundeswirtschaftsministeriums.
Perfect Match: Netzwerke helfen bei der Auswahl passender Arbeitskräfte
„Ich berate aktuell die rund 215 landschaftsgärtnerischen Ausbildungsbetriebe in Schleswig-Holstein, Hamburg und Nordniedersachsen zu Fragen rund um die Beschäftigung von Geflüchteten“, erklärt die 26jährige Türkin Özge Acar, die selbst sechs Sprachen spricht. 2013 kam sie aus Istanbul nach Deutschland, um hier ihr Master-Studium „Internationale Beziehungen und Entwicklungspolitik“ zu beenden. Seit Juni 2016 ist Acar für den FGL HH und seit September auch für den FGL S.-H. unterwegs. Sie informiert die Mitgliedsbetriebe der Verbände über die rechtlichen Grundlagen und Möglichkeiten einer Beschäftigung von Geflüchteten. Und sie sucht für die Unternehmen unter den Flüchtlingen nach geeigneten Auszubildenden und Arbeitskräften. „Matchen“ nennt sie das.
Aktionen wie die Schnuppertage sind für Özge Acar eine gute Möglichkeit, ihre Aufgabe erfolgreich zu meistern. Denn um, wie es das Bundeswirtschaftsministerium nennt, „passgenau“ zwischen einem Betrieb und einem Geflüchteten matchen zu können, muss Özge Acar zielgerichtet Kontakt zu Flüchtlingen aufbauen, die das Potenzial und die Lust haben, künftig als Landschaftsgärtner/in zu arbeiten. Die Willkommenslotsin setzt hierbei auf professionelle Netzwerke. „Von Juni bis jetzt war ich bei elf Messen, die sich speziell an Geflüchtete richteten. Hier habe ich den Beruf des Landschaftsgärtners präsentiert, Flüchtlinge kennengelernt und vor allem Beziehungen zu Organisationen und Initiativen aufgebaut, die Flüchtlinge betreuen“, berichtet Acar. Mit ihren Netzwerkpartnern stellt sie nun immer wieder individuelle Projekte auf die Beine. Der Schnuppertag mit der Pinneberger Berufsintegrationsklasse ist ihre siebzehnte Aktion dieser Art.
Kommunikation ist alles: Sprachkenntnisse eröffnen berufliche Perspektiven
Die zehn Schülerinngen und Schüler aus Pinneberg füllen ihre Fragebögen aus. Özge Acar erfährt so, woher die jungen Menschen stammen, wie gut sie Deutsch sprechen, ob sie anerkannt, geduldet oder Asylbewerber sind, welche Schulbindung und Qualifikationen sie haben und bis wann sie in Deutschland zur Schule gehen. „Bis zu ihrem 18. Lebensjahr werden die jungen Flüchtlinge in Deutschland beschult. Sie lernen in den Berufsintegrationsklassen vor allem die deutsche Sprache. Denn um eine Ausbildung beginnen zu können, müssen sie mindestens das in ganz Europa geltende Sprachniveau B1 haben“, erklärt der Berufsschullehrer Felix Wolter. An der Beruflichen Schule Pinneberg gibt es aktuell acht Berufsintegrationsklassen.
Praxistest: Schnuppertage wecken Interesse am Beruf
Damit die Flüchtlinge einen Eindruck davon bekommen, was sie bei einer Arbeit als Landschaftsgärtner erwartet, zeigt Özge Acar zunächst einen kurzen Ausbildungsfilm. Anschließend geht sie mit den Schülerinnen und Schülern in eine Übungshalle, wo die Ausbilder Adonis Andresen, Gundolf Marré und Holger Schacht warten. Unter ihrer professionellen Anleitung probieren die hauptsächlich aus Syrien und Afghanistan
stammenden Flüchtlinge an vier Stationen typische landschaftsgärtnerische Tätigkeiten aus: ein Beet umgraben und bepflanzen, eine Pflasterfläche und eine Sitzbank aus Stein und Holz errichten und Vermessungen durchführen. „Ich möchte sehr gern eine Ausbildung machen, und eine Arbeit als Gärtner finde ich interessant“, sagt Walid Nawabi, der aus Afghanistan nach Deutschland gekommen ist. Sollte er einen Ausbildungsplatz finden, stünden seine Chancen, in Deutschland zu bleiben, gut: „Anerkannte und geduldete
Flüchtlinge mit einem Ausbildungsvertrag bekommen in Deutschland für drei Jahre eine Aufenthaltsgenehmigung. Wenn sie ihre Ausbildung bestehen und danach angestellt werden, wird die Genehmigung zunächst um zwei Jahre verlängert“, sagt Özge Acar.
20 Geflüchteten hat die Willkommenslotsin innerhalb des vergangenen halben Jahres ein Praktikum in einem Garten- und Landschaftsbaubetrieb vermittelt. Drei der Praktikanten konnten anschließend ihren Ausbildungsvertrag und einer gleich einen Arbeitsvertrag unterschreiben. Zwei ehemalige Praktikanten machen zunächst eine vergütete Einstiegsqualifizierung im Betrieb, die sie auf eine anschließende Ausbildung vorbereitet.
Eine gute Quote? „Ich finde schon“, meint Özge Acar. „Vor allem, wenn man bedenkt, dass der Großteil der Geflüchteten noch nicht das B1-Sprachniveau erreicht hat. Viele Betriebe, die Praktikanten genommen haben, möchten sie gern einstellen, wenn sie ihre Deutschkenntnisse verbessert haben. Diese Perspektive motiviert die jungen Menschen sehr“. Ebenso wie Özge Acar selbst. In den Teilnehmern des Schnuppertages mit den Pinneberger Schülern hat sie schon einige neue Interessenten für ein Praktikum gefunden. Und bereits am 9. Dezember wird sie eine weitere Berufsintegrationsklasse zu einem Schnuppertag in Ellerhoop begrüßen.