Fachzeitschrift für den Garten- und Landschaftsbau

Ein Soldat in grün-roter Uniform steht auf seinem Posten an der Außenmauer der Festung Königstein. Er blickt auf die „Quirl“ genannte Erhebung gegenüber, beobachtet von oben die Ortschaft Hütten im Bielatal – und strickt nebenbei lange Strümpfe aus Wolle. Eine unsinnige Vorstellung? Keineswegs. Um 1750, so ist es überliefert, holte der Artillerist und Witwer Johann Christian Zobel (1685-1754) bei seinen Wachdiensten gern sein Strickzeug raus – feindliche Truppen waren in jener kurzen Zeit des Friedens ja gerade nicht zu erwarten.

Zobels Eck und der Standort des ehemaligen Weinberges.

Der Garten des Kommandanten heute. (Fotos: Marko Förster/Festung Königstein gGmbH)

Der Soldat und Vater mehrerer Kinder wurde durch seine Handarbeit an exponierter Stelle unsterblich. Der am weitesten nach Süden ragende Felsvorsprung auf der Festung Königstein heißt heute immer noch „Zobels Eck“. Welche Geschichte sich dahinter verbirgt, können Besucher nun auf einer Tafel nachlesen – der Aussichtspunkt ist einer von fünfzehn „Lieblingsplätzen“ auf dem weitläufigen Plateau, die ab Ende April in den Fokus einer Sonderausstellung rücken.

Unter dem Titel „Von Möhrenbeet bis Festungswald“ widmet sich die Festung erstmals der gärtnerischen sowie forst- und landwirtschaftlichen Nutzung der Freiflächen, aber auch der unter militärischen Gesichtspunkten erfolgten Begrünung. Die Ausstellung weist zudem auf Plätze hin, die den Festungsbewohnern abseits des Alltagstrubels als Rückzugsort dienten und auch, wo sie einst außerhalb der Mauern zur letzten Ruhe gebettet wurden.

Ein ganzes Jahr lang hat sich die Dresdner Gartenhistorikerin Dr. Stefanie Krihning erstmals überhaupt mit diesem Thema befasst. Sie forschte auf der Festung, im Hauptstaatsarchiv Dresden oder im Landesamt für Denkmalpflege. Die Landschaftsarchitektin, die über den Großen Garten in Dresden promovierte, wertete eine Unmenge von Plänen, Dokumenten, Fotos, Grafiken, und Gemälden aus, darunter Canalettos fünf Veduten vom Königstein.

Stefanie Krihning, die im Auftrag des Staatsbetriebes Sächsisches Immobilien- und Baumanagement eine denkmalpflegerische Zielstellung der Außenanlagen erarbeitete, fand Erstaunliches und mitunter Skurriles heraus. Anekdotenreich kann sie von Zier- und Gemüsegärten erzählen, von Ziegen, Hühnern und Bienen, von Blumendiebstählen, von Festungsgärtnern oder sächsischen Königen gewidmeten Plätzen. Auch dem Festungswald und dem Friedhof hat sie sich ausführlich gewidmet. Manche bisher als Wildwuchs eingeordneten Bäume und Sträucher entpuppten sich zudem als natürliche Tarnung von Geschützen oder Festungswällen.

„Das ist wie eine zweite Doktorarbeit“, zollt Festungschefin Dr. Angelika Taube den Forschungen der Gartenhistorikerin großen Respekt. Daraus ist eine ganz besondere Ausstellung geworden, die auf unterhaltsame Weise die verschiedenen Facetten des Festungsgrüns der Aufmerksamkeit des Publikums empfiehlt. Während sich auf dem Plateau zahlreiche Hinweise verteilen, können die Besucher in der Magdalenenburg in dem von Hans Dieter Schaal aufwendig gestalteten großen Schauraum tief in die grüne Geschichte der Festung eintauchen.

Neben Texten, Bildern und Dokumenten sind historische Gartenwerkzeuge aus der Sammlung des Dresdner Künstlers Einhart Grotegut zu besichtigen, die zum Teil extra für die Sonderausstellung restauriert wurden. Darunter befinden sich heute eher unbekannte Geräte wie ein Wurzelzieher, der vermutlich auch auf dem Königstein zum Einsatz kam. Die Funktionsweise des seltenen Objekts lässt sich in einer filmischen Dokumentation verfolgen.

Die Selbstversorgung war auf der Festung von jeher wichtig. Erste Soldatengärten, weiß Stefanie Krihning, sind um 1700 an der Alten Kaserne nachgewiesen. Bis zum Siebenjährigen Krieg (1756 – 1763) wuchs die Zahl der Festungsbewohner auf etwa 1500. „Die Menschen bewirtschafteten selbst jede noch so ungeeignet erscheinende Fläche“, sagt Stefanie Krihning. „Sie terrassierten sogar die felsigen Löcher bei den Kasematten.“

Eisenbahn und Dampfschiff verbesserten zwar die Versorgung, dennoch lohnte sich der Eigenanbau, der auch eine gewisse Abwechslung vom militärischen Alltag bot. Der Kommandant unterhielt sogar einen heute verschwundenen Weinberg. 1870/71 schütteten hauptsächlich französische Kriegsgefangene auf Festungsflächen Erde für den Fall einer Belagerung an. Die Bewohner nannten die so entstandenen neuen Gärten wegen der Erbauer „Jardingärten“, also „Gartengärten“, jardin ist der französische Begriff für Garten. Nach 1945 lagen die meisten Flächen brach. Heute nutzen noch die Bewohner der Kaserne B ihre Gärten, den Nutzgarten am Schatzhaus betreibt die Festung selbst.

Ackerbau indes war auf dem felsigen Untergrund des Königsteins unmöglich, die Versorgung mit Feldfrüchten aber war überlebenswichtig, wie etwa die Hungerjahre 1771/72 zeigten. Festungskommandant Reichsgraf Friedrich Christoph zu Solms und Tecklenburg ließ deshalb ab 1778 Ödland im sogenannten Rayon erschließen, das ist das im Kriegsfall freizuhaltende Schussfeld. Felsige Flächen dienten als Weideland, zwei Teiche der Wasserversorgung, und Waldflächen lieferten Brenn- und Bauholz. Graf zu Solms ließ zudem Wege auch auf der Festung mit Obstbäumen bepflanzen.

Neben den Nutzgärten dienten Zier- und Lustgärten mit Lauben, Gewächshäusern und allerlei hübschen Vögeln wie Pfauen bereits ab 1700 der Unterhaltung hoher Gäste. Sie waren zudem ein Statussymbol für die Besitzer. Noch heute wird der Kommandantengarten als Ziergarten gepflegt – zur Freude der Besucher, die sich erst seit 1955, als die Festung zum Museum wurde, frei in den Außenanlagen bewegen dürfen. Bis dahin blieben einstige militärische Bereiche wie Pulvermagazine und Batteriewälle abgeschirmt.

Um diese vor den Blicken der Feinde zu verbergen, wurden dichte Hecken und Baumreihen angelegt, zum Beispiel nach der „Technischen Vorschrift A27“ aus dem Jahre 1905 – als „Maßnahmen gegen die Erkennbarkeit von Befestigungsanlagen“. Mithilfe von Rasensoden stabilisierten die Festungsingenieure die heute noch vorhandenen Erdwälle. Wenn eine Belagerung drohte, ließen sie Unmengen von Holz in der Umgebung sammeln. Daraus zimmerten Soldaten Schutzdächer und Barrikaden. Aus Reisig banden sie Faschinen oder flochten Schanzkörbe und Zäune.

Dabei blieb ein Wald stets unangetastet, nämlich der eigene innerhalb der Befestigung, eine Besonderheit der Festung Königstein. „Schon in der Renaissance setzten die sächsischen Kurfürsten alles daran, ihn zu erhalten“, sagt Stefanie Krihning. Ein artenreicher und altersgemischter Baumbestand schützte den Standort und lieferte Holz für allerlei Verwendungen. Wie der mittlerweile von der Festung verschwundene Faulbaum, dessen Holzkohle zur Herstellung von Schießpulver diente. Im 19. Jahrhundert wurde der Wald von den Bewohnern als Park bezeichnet, er beherbergte einen Konzert-Pavillon, einen Tennisplatz und eine katholische Kapelle.

Die Schießbeere, wie der Faulbaum auch genannt wird, und elf weitere Holzarten, die einst in dem heutigen Buchen-Mischwald vorkamen, können Besucher nun in einer Fühlstation ertasten. Sie ist eine von mehreren interaktiven Angeboten, die von Museumspädagogin Dr. Maria Pretzschner betreut werden. Zu denen gehört auch eine Duftstation, die an eine florale Leidenschaft des Gefangenen Peter Aloysius Marquis d’Agdollo erinnert, der mehr als zwanzig Jahre auf dem Königstein verbrachte. Er durfte sich tagsüber frei bewegen und kultivierte in seinem Gärtchen beim späteren Exerzierplatz etwa 500 Nelken. Für die kostbare Sammlung fand sich nach seinem Tod im Jahre 1800 auf der Festung kein Käufer.

Das ist eine der Geschichten, die nun erstmals auf dem Königstein erzählt werden. Wie auch die zum Lieblingsplatz des Kommandanten Heinrich Adolph von Boblick, der sich mit seinem Räderstuhl gern in der Nähe der Garnisonskirche aufhielt oder eben die von „Zobels Eck“. Wer will, kann sich übrigens mit dem Soldaten fotografieren lassen. Zobel ist als lebensgroße Figur auferstanden – samt Wollsocken und Strickzeug.

Die Sonderausstellung findet vom 30. April bis 31. Oktober 2022 statt.

 

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