Auf eine akute Krise im deutschen Obstbau hat Jens Stechmann, Vorsitzender der Bundesfachgruppe Obstbau, hingewiesen. Bei einer Agrarpolitische Talkrunde mit anschließendem Senatsempfang am 15. August 2022 in Hamburg berichtete er von sinkenden Erzeugerpreisen bei explodierende Kosten und großem Konkurrenzdruck im Lebensmitteleinzelhandel. Von der Politik forderte der Fachgruppenvorsitzende konkrete Unterstützung für den heimischen Anbau ein.
„Sowohl im Beerenobstbau als auch im Stein- und Kernobstbau ist die Stimmung unter unseren Berufskollegen dramatisch“ führte Stechmann aus. Neben der angespannten Marktsituation verwies der Obstproduzent auf die steigenden Extremwettereignisse und Klimawandelfolgen sowie auf die schwindende Verfügbarkeit von wirksamen Pflanzenschutzmitteln.
„Um die Obstbaubetriebe abzusichern, sind Versicherungslösungen oder größere Investitionen in Witterungsschutzanlagen oder Wasserspeicherbecken notwendig“, betonte Stechmann und sprach sich für Investitionsförderprogramme und einen Beitragszuschuss zu Versicherungslösungen aus.
Gleichzeitig erinnerte Stechmann an den nachweislichen besonderen Beitrag des deutschen Obstbaus für Umweltschutz und Biodiversität. Von den politischen Entscheidungsträgern würden die Ergebnisse allerdings viel zu wenig wertgeschätzt. Stechmann forderte eine stärkere Berücksichtigung der integrierten Produktion in den nationalen und EU-weiten Nachhaltigkeitsprogrammen.
Ein gezielter und nützlingsschonender Pflanzenschutz verbunden mit einem Wirkstoffwechsel sei zudem eine wichtige Voraussetzung für den Integrierten Obstanbau. Alle Beteiligten sollten daher nicht danach streben, Zulassungen zu verhindern, sondern nach praktikablen Lösungen suchen. Eine pauschale Reduktion, wie in dem Vorschlag der EU-Kommission für eine neue Pflanzenschutzverordnung, sei dagegen nicht zielführend.
Die Teilnehmer der Polittalk-Runde signalisierten, dass sie sich der akuten Krisenlage im Obstbau bewusst sind.
Jens Kerstan, Senator für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft sieht im Obstbau auf Hamburger Stadtgebiet ein großes Wertschöpfungspotenzial. Regionale Obstproduktion brauche den Schutz der Politik, um sich im Konkurrenzkampf der Metropolregion, insbesondere um Land, langfristig zu behaupten. Akut gelte es, die Folgen des Ukrainekrieges abzupuffern, damit die Betriebe über die nächsten beiden Winter kommen. Dann gelte es, längerfristige Probleme anzugehen.
Susanne Mittag, MdB, SPD, betonte, dass der Obstanbau mit seinen Besonderheiten in der Entscheidungsfindung von agrarpolitischen Entscheidungen viel zu oft in der Gesamtheit der Landwirtschaft untergehe. Das müsse sich ändern. Dabei sind für sie der ökologische Anbau und die Integrierte Produktion zwei gleichberechtigte Produktionsrichtungen. Jeder Obstbauer dürfe frei entscheiden, welche Form der Produktion ihm mehr zusage.
Dr. Anne Monika Spallek, MdB, Bündnis 90/Die Grünen, will sich im Bundestag für eine gesunde und nachhaltige Ernährung ein. Dabei sollten Obst und Gemüse aus regionalem Anbau verstärkt im Fokus stehen. Sie glaubt nicht an eine Weiterführung des Glyphosat-Einsatzes, das Thema sei „verbrannt“. Der Fokus solle vielmehr darauf liegen, alternative Produktionswege und Mittel zu finden und zu etablieren.
Artur Auernhammer, MdB, CSU, vertrat den Standpunkt, dass es in der aktuellen Situation nicht zielführend sei, verstärkt auf den ökologischen Anbau zu setzen, denn der Verbraucher bräuchte bezahlbare Lebensmittel. Eine vorgeschriebene Bio-Quote sei hier kontraproduktiv. Er schaut mit Sorge auf die aktuelle Marktsituation und fragt sich, wohin die ganzen polnischen Äpfel gehen sollen, die bislang den russischen Markt bedient haben.
Dr. Peter Jahr, Mitglied des Europäischen Parlaments, CDU, setzt sich auf europäischer Ebene für gleiche Produktionsbedingungen ein. „Landwirtschaft, Umwelt- und Klimaschutz gehören untrennbar zusammen“, unterstrich er und stellte fest, dass die Grenzen zwischen ökologischer und Integrierter Produktion immer mehr verschwimmen würden. Wichtig sei, dass die zonale Zulassung von Pflanzenschutzmitteln auch von Deutschland akzeptiert und umgesetzt werde. Die aktuellen Pläne der EU-Kommission zu Schutzgebieten bezeichnete er als realitätsfern.
Abschließend verwies Stechmann auf die bundesweite Apfelverteilaktion am 24. September 2022, bei der die Verbraucher in zahlreichen Städten in persönlichen Austausch über die Klima- und Umweltleistungen des deutschen Obstbaus aufgeklärt werden sollen.