Fachzeitschrift für den Garten- und Landschaftsbau

Zwei Wochen lang zog die erste Biennale der urbanen Landschaft Graswurzel-Initiativen genauso an wie die großen Player der Planung. Die Initiative lala.ruhr hatte Motivierte aller Disziplinen zu diesem Biennale-Festival eingeladen. 204 Mitwirkende bespielten gemeinsam über 130 Veranstaltungen im und am Wissenschaftspark in Gelsenkirchen.

v.l. Melanie Kemner, Sebastian Schlecht, Peter Köddermann, Josef Hovenjürgen, Viktor Haase, Nina Frense, Wolfgang Jung (© lala.ruhr/Ravi Sejk)

Bei der Eröffnung der Biennale der urbanen Landschaft kamen vielen Teilnehmer:innen Erinnerungen hoch. Denn mit der Einladung in den Wissenschaftspark Gelsenkirchen startete die Veranstaltung genau dort, wo vor über 30 Jahren die IBA Emscher Park ihre Arbeit aufnahm. Damals war es der Start in eine neue Ära. Gleiches gelingt der ersten Biennale: Sie brachte über 200 Mitwirkende zusammen und ermöglichte Begegnungen, Diskussionen und Aktionen. Dabei waren Macher:innen von Nachbarschaftsprojekten genauso wie Geschäftsführende der IGA 2027; junge Studierende ebenso wie Staatssekretäre und Wissenschaftler:innen. Viele dieser Engagierten haben im Alltag wenig Berührungspunkte miteinander. Leider, denn alle eint, dass sie sich für die Zukunft der urbanen Landschaft in der Metropole Ruhr einsetzen.

Der Wissenschaftspark als Zentrum der Biennale

Der Wissenschaftspark Gelsenkirchen war über zwei Wochen das Zentrum der Biennale und damit Wirkungsstätte der unterschiedlichsten Akteur:innen. Dass viele Veranstaltungen draußen im Park stattfanden, war kein Zufall, vielmehr Symbol. Denn im Mittelpunkt der Biennale stand die Landschaft. Zur Auseinandersetzung über die urbane Zukunft hatte die Initiative lala.ruhr - Das Labor für die Landschaft der Metropole Ruhr eingeladen. In verschiedenen Calls hatte sie „in den urbanen Wald“ gerufen und ein riesiges Echo von Engagierten und Macher:innen bekommen. Sie alle kamen mit kreativen, wissenschaftlichen, künstlerischen und vor allem anpackenden Ideen und Projekten. Damit gestalteten sie über 130 Veranstaltungen, die alle zwischen dem 10. und 24. September 2022 im und rund um den Wissenschaftspark stattfanden.

Wochenende der Vielfalt macht den Auftakt

Bereits das Auftaktwochenende stand im Zeichen von Veränderung. Denn bei der Biennale ging es um nichts Geringeres als die Frage, „wie wir das Ruhrgebiet als lebenswerte Region gestalten können“, wie Peter Köddermann von Baukultur NRW sagte. Diese große Frage regte zahlreiche Debatten an, die mit Ernsthaftigkeit und Offenheit, mit Visionskraft und Realitätssinn geführt wurden. Sowohl im Park als auch in den Arkaden des Wissenschaftsparks wurde ein Wochenende lang gebaut und experimentiert, Strategien diskutiert und nach Ursachen für Probleme und Hindernisse der Weiterentwicklung gesucht. Dabei tat das Regenwetter am Samstag der Beteiligung an Workshops, Vorträgen, Diskussionen und Mitmach-Aktionen keinen Abbruch. Der sonnige Sonntag war ideal für Exkursionen, Workshops und das Jazzkonzert der Brassholes Marching Band, eine Kooperation mit dem New Colours Festival.

Ausflug ins Digitale

In der zweiten Woche gab es viel Input und  Output zum idealen Zusammenspiel von Digitalität und Stadtgestaltung. Im Zentrum stand die Frage, wie digitale Technologien dabei helfen können, eine nachhaltige Stadt zu entwickeln. Insgesamt arbeiteten 20 Young Professionals und Studierende aus ganz Europa – u.a. den Niederlanden, Großbritannien, Slowenien und Frankreich im Rahmen eines „hackathon in residence“ zusammen. Ihre Expertise reicht von 3D-Animation, Game-Design, Fotografie und VR-Programmierung über Stadtplanung und Landschaftsarchitektur bis zu Datenanalyse. Sie entwarfen in vier Teams Ideen für nachhaltige Entwicklungen im urbanen Raum. Und der lag vor der Tür. Die Residencies setzten sich konkret und direkt vor der Tür des Wissenschaftsparks mit problematischen Orten und Flächen in Gelsenkirchen-Ückendorf auseinander. Brachflächen, Hitzeinsel und Straßenschlucht, wie es sie auch in anderen Städten gibt, warteten auf  ihre digitale Transformation.

Visionen von Studierenden

Auch junge internationale Vertreter:innen planender und gestaltender Disziplinen kamen auf der Biennale zusammen. Das Motto „Design for Urban Uncertainties“ forderte die interdisziplinär arbeitenden Gruppen mit Studierenden der TU Dortmund, der TH Ostwestfalen-Lippe und der RWTH Aachen University heraus. Während einige Teams die offene Aufgabe vor Ort in Gelsenkirchen-Ückendorf bearbeiteten und konkrete Ideen zur Verbesserung des Stadtteils entwarfen, blieben andere Arbeiten auf größerer Flughöhe. Sie nahmen die gesamte Metropole Ruhr in den Blick und skizzierten Szenarien, wie die ehemalige Industrieregion zur Energieregion werden kann. Die Bandbreite von Ideen, Visionen und Beiträgen war riesig. Sie alle waren relevant; sie alle machten deutlich, auf wie vielen Ebenen Handlungsbedarf besteht.

Eine Convention zum Abschluss

Das letzte Wochenende der Biennale stand im Zeichen einer Convention zur urbanen Zukunft. Auch hier kamen zahlreiche Akteur:innen aus verschiedenen Kontexten zusammen und die Impulse, Fragestellungen und Diskussionen waren breit gefächert. Sie reichten von den Ideen der Studierenden, Natur basierten Lösungen für Städte über mangelnde Budgets in der Pflege von Grünflächen bis zum riesigen CO2-Verbrauch in der Bauindustrie; von der Wertschätzung für existierende Pläne bis zur Frustration über Hindernisse, von der Aktivierung kreativer, bottom-up-Potenziale bis zur Skepsis gegenüber Experimenten. Trotz der großen Bandbreite von Sichtweisen machte die Convention der Biennale der urbanen Landschaft deutlich, dass enormer Handlungsdruck besteht. Alle waren sich einig, dass aktuelle Krisen und der fortschreitende Klimawandel die urbane Lebenswelt bedrohen. Deshalb appellierte Anja Bierwirth vom Wuppertal Institut auch schnell zu handeln: „Je mehr wir trödeln, umso schneller kommt der Klimawandel auf uns zu.“.

Dass es „an programmatischen Ansätzen für Veränderungen“ nicht fehlt, machte Markus Lehrmann als Geschäftsführer der Architektenkammer NRW deutlich. Vielmehr stockt es vielerorts an der Umsetzung. Dass sich das nun ändern würde, stellte Nina Frense vom Regionalverband Ruhr in Aussicht. Sie berichtete, dass die „Charta für Grüne Infrastruktur“ im Ruhrparlament einstimmig verabschiedet worden sei und damit eine neue Verbindlichkeit entstünde. Der langjährige Begleiter der Region, Michael Schwarze-Rodrian, ging einen Schritt weiter. Er blickte auf die IBA Emscher Park und regte an: „Vielleicht brauchen wir wieder einen Werkstattcharakter, also die Offenheit für neue Herangehensweisen, den Mut zum Experimentieren und auch Fehler zu machen.“

Den Abschluss bildete ein „Blick zurück nach vorn” über die Bedeutung regionaler Formate für die Metropole Ruhr und ein Ausblick auf die Zukunft urbaner Landschaften für lebenswerte Städte - auch in 100 Jahren. Prof. Christa Reicher resümierte: „Das Ruhrgebiet hat schon einige regionale Formate erfolgreich umgesetzt. Die Biennale der urbanen Landschaft ist das richtige Format, um wichtige neue Perspektiven zu entwickeln.”

Ausblick auf nächste Biennalen

Am Ende von zwei intensiven und spannenden Wochen zeigte sich Sebastian Schlecht als Initiator von lala.ruhr sehr zufrieden. „Es ist uns gelungen, sehr ernsthafte Themen mit Spaß und vielen engagierten Menschen zu erörtern. Das ist uns ein wichtiges Anliegen. Dabei war diese erste Biennale der urbanen Landschaft der Auftakt”, fügt Sebastian Schlecht hinzu. Die Biennale ist als Prozess konzipiert und es sei ein erster und erfolgreicher Startschuss gelungen. Mit großer Freude blicke er auf 2024 und lädt alle ein, die nächste Biennale und vor allem die Zukunft dieser Region mitzugestalten.

Urbane Landschaft als Gemeinschaftsaufgabe

Eine Region als resiliente und lebenswerte urbane Landschaft zu gestalten, ist nicht einfach. Das hat die 1. Biennale deutlich gemacht. Sie hat aber vor allem auch gezeigt, dass das nicht im Alleingang gelingen kann. Die Biennale plädierte nicht nur für Kooperation, sondern sie hat sie gelebt. Denn die Veranstaltung war nur möglich durch die Unterstützung von Baukultur NRW, vom Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes NRW, vom Regionalverband Ruhr sowie der E.ON Stiftung. Sie alle ermöglichten mit ihrer Förderung dieses großartige und innovative Festival. Der Wissenschaftspark Gelsenkirchen war gleichzeitig Partner und Veranstaltungszentrum.

Viele weitere Menschen, Unternehmen und Institutionen trugen zur Biennale bei. Dazu gehören u.a. die Architektenkammer NRW, die Bundesstiftung Baukultur, die IGA Metropole Ruhr 2027, der Bund Deutscher Landschaftsarchitekten, City Decks, die Urbanisten, Architects for Future, ICLEI Europa, Impact Factory, Jugend-Architektur-Stadt, kultur.west, die Kunstakademie Düsseldorf, die Königlich Dänische Botschaft Berlin, Places _ VR Festival, die Ruhr-Konferenz, die RWTH Aachen University, Salon5, die Stiftung Mercator, die Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe und die TU Dortmund, die Urbane Liga

Initiative lala.ruhr

Die 1. Biennale der urbanen Landschaft wurde von der Initiative lala.ruhr veranstaltet, die sich als Labor für die Landschaft der Metropole Ruhr versteht. lala.ruhr ist ein Netzwerk von Expert*innen für Landschaft, Architektur und Stadtentwicklung, für gemeinsames Arbeiten und Teilhabe, für Kommunikation und Kollaboration und das lokal, regional und international. #thinklandscape

Das Magazin zur Biennale: siehe Link

 

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