„Der Friedhof ist ein Ort der Zukunft. Hier verbindet sich der Abschied mit dem Neuen, das Innehalten mit dem Neuanfang. Eigentlich sind Friedhöfe Kraftorte, und sie können es für die Gesellschaft, für die Städte und Gemeinden, wieder werden. Dafür sollten wir bei ihrer Gestaltung künftig stärker auf die Psychologie der Trauer eingehen.“
So fasst Zukunftsforscher Matthias Horx (Wien) die Diskussion junger Experten zum Friedhof der Zukunft zusammen. Es sei „Zeit, Friedhöfe insgesamt neu zu denken: als für Menschen dienliche Räume des Abschiednehmens und der Gemeinschaft“.
Am 21.6. hatte er auf dem „Zukunfts-Congress“ der Nürnberger Fachmesse Stone+tec mit 12 jungen Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis ein Zukunftsbild des Friedhofes entwickelt. Mit dabei unter anderem: Anna-Nicole Heinrich (28), Präses der Synode der Evangelischen Kirche Deutschlands, Karin Gansloser (27), eine der jüngsten Bürgermeisterinnen Deutschlands, die Steinmetzinnen Luisa Lüttig und Melanie Seidl (25, 35) und Deutschlands jüngste Bestatter-Meisterin Emily Maichle (24). Friedhöfe könnten ihnen zufolge viel stärker als bisher Orte neuer Zuversicht für den Einzelnen und Quelle eines neuen gesellschaftlichen Zusammenhaltes werden.
Blickwechsel in der Friedhofsentwicklung
Karin Gansloser (27), Bürgermeisterin aus Schlat (Baden-Württemberg) formuliert ihre Vorstellung so: „Wir sollten den Friedhof wie ein offenes Bürgerhaus zum Wohlfühlen sehen und gestalten – und ihn den Menschen als ein gemeinsam zu nutzendes Gemeindehaus ohne Konsumzwang, jedoch mit vielen privaten Räumen anbieten.“ Sie konzipiert ihren örtlichen Friedhof derzeit bereits neu.
Der Austausch der interdisziplinär besetzten Runde junger Experten aus Wissenschaft und Praxis wurde ergänzt durch Fachbeiträge aus Psychologie, Zukunftsforschung, Landschaftsarchitektur und zu „menschen-orientierter Friedhofsentwicklung“, Referenten waren Prof. Bart Brands, (karresenbrands, Hilversum/NL, Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe), Günter Czasny (Sprecher der Initiative Raum für Trauer, Initiator interdisziplinärer Projekte zur Friedhofsentwicklung und Forschungsprojekte) und Prof. Dr. Dr. Michael Lehofer (Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, Ärztlicher Direktor im Landeskrankenhaus Graz II).
Paradigmenwechsel im Umgang mit Trauernden
Der Friedhof wird von den jungen Experten als potentiell heilsamer Raum der Begegnung und des gesellschaftlichen Miteinanders verstanden. Dabei spielen unter anderem die therapeutischen Wirkkräfte, die als Trauerorte gestaltete Beisetzungsorte haben können, eine wesentliche Rolle. Das bestätigt auch Prof. Dr. Dr. Michael Lehofer: Friedhöfe können ihm zufolge als heilende Räume wirken, die es den Hinterbliebenen ermöglichen, ihren Verlust zu verarbeiten und neuen Lebensmut zu schöpfen. Er ist sicher: Kommunen und Kirchen könnten so ihrer Fürsorgeverantwortung viel besser gerecht werden, als bisher.
Friedhöfe als fürsorgliche Infrastruktur einer sorgenden Gemeinschaft
Günter Czasny, Sprecher der Initiative ‚Raum für Trauer‘, ist sicher: „Wenn wir gemeinsam die Friedhöfe menschenzugewandt in die Zukunft entwickeln, werden diese innerhalb der Stadtentwicklung ein Raum für die persönliche Trauer und ein Begegnungsort, der das soziale Füreinander, das gesellschaftliche Miteinander und den Zusammenhalt der Menschen in den Kommunen und Gemeinden fördern und stärken kann.“
Es gelte, so Czasny, die Trauerkompetenz der Kommunen und Kirchen neu zu entdecken. In einer Zeit, in der Gemeinschaft und sozialer Zusammenhalt immer wichtiger werden, könnte der Friedhof als Caring Infrastructure (fürsorgliche Infrastruktur) zunehmender Einsamkeit entgegenwirken und zum neuen sozialen Kern unserer Kommunen werden, nimmt er Bezug auf das im Mai vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorgelegte Einsamkeitsbarometer 2024.
Teilnehmer und Statements der Protagonisten
Anna-Nicole Heinrich (Präses der Synode der Evangelischen Kirche Deutschlands, Hannover/Regensburg),
Emily Maichle (jüngste Bestatter-Meisterin Deutschlands, @maichle.bestattungen, Geislingen a. d. Steige),
Domenik Heinen (Kognitionswissenschaftler, Trier),
Jacqueline Jansen (Filmemacherin, Erkelenz/Berlin),
Johannes Heiser (Friedhofsgärtner, Landschaftsgärtnermeister, Trier),
Karin Gansloser (eine der jüngsten Bürgermeisterinnen Deutschlands, Schlat),
Lara Schink (Friedhofsverwalterin, Dresden),
Luisa Lüttig (Steinmetzin und Steinbildhauerin in 5. Generation, Miss Handwerk 2022, @stein_fluencerin, Göppingen),
Max Geiger (Soziologie, Süßen),
Melanie Seidl (Steinmetz-Europameisterin 2012 und Fachlehrerin, Österreich),
Peter Lendrates (Theologe und Diözesanreferent Katholische Kirche)
Sarah Czasny (Stadt- und Raumplanung, Donzdorf),
Moderation: Matthias Horx, Zukunftsforscher / Horx Future GmbH, Wien
Angaben zum Alter: zum Zeitpunkt der Veranstaltung:
„Ein Friedhof ist ein Friedhof. Ein neuer Name hilft nicht weiter. Im Mittelpunkt stehen die Bedürfnisse der Menschen. Menschen tun auf Friedhöfen Verbotenes, weil es ihnen guttut. Es braucht dort keine Verbote, sondern Regeln, die aktiv fördernd sind und mehr Interaktion erlauben. Es braucht dort mehr Interkulturalität und vor allem mehr Miteinander. Den Friedhof wie ein offenes Bürgerhaus zum Wohlfühlen zu gestalten – ihn den Menschen als ein gemeinsam zu nutzendes Gemeindehaus ohne Konsumzwang jedoch mit vielen privaten Räumen anzubieten – das sollte das Ziel sein.“
Karin Gansloser (27), Bürgermeisterin, Schlat
„Institutionalisieren wir den Friedhof als einen „place to be” – in der urbanen Stadt und im kleinen Dorf. Im Mittelpunkt stehen Individual- und Sozialräume als achtsame Angebote, die den Menschen und ihren Bedürfnissen zugewandt sind. Dafür braucht es keinen allgemeingültigen „eins-zu-eins-Plan“ für alle Friedhöfe einheitlich. Jeder Friedhof hat seine eigene Charakteristik. Die Gegebenheiten sind unterschiedlich, die Bedingungen kaum zu vergleichen. Oft reichen kleine bewusste Veränderungen, die aus Friedhöfen wertvolle und niedrigschwellig zugängliche Kraftorte für die Gesellschaft in zentraler Lage machen.“
Max Geiger, 30, Soziologie, Süßen
„Als Kind habe ich den Friedhof nicht so richtig verstanden. Dort durfte ich nicht so sein, wie ich bin – das prägt. Der Friedhof der Zukunft muss zu einem – auch für Kinder – positiv erlebbarem Ort werden. Dazu sind auch radikalere Veränderungen nötig. Ein Re-labeling – also das Finden einer neuen Begrifflichkeit für den Friedhof – könnte dafür sensibilisieren, dass der Friedhof in Zukunft in vielerlei Hinsicht neu gedacht wird. Aktuell befasse ich mich damit, ob und inwiefern „Resonanzräume“ ein passenderer Begriff sein könnte.“
Domenik Heinen (30), Kognitionswissenschaftler, Trier
„Friedhöfe sind nicht nur Ruheplatz für die Toten, sondern auch wichtig für uns Lebende – als Orte, um Abschied zu nehmen, Erinnerung zu teilen, Geschichten zu erzählen und Leben zu feiern. Die Zukunft dieser Orte und die Art und Weise, wie wir mit dem Abschiednehmen umgehen, bewegen uns auch als evangelische Kirche. Ich freue mich, mit anderen jungen Menschen über Veränderungen in der Bestattungskultur zu sprechen und zu erkunden, wie wir diese besonderen Orte lebendig und relevant halten können.“
Anna Nicole Heinrich (28), Präses der 13. Synode der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD)
„So können wir nicht weitermachen. Viele Angebote auf zeitgenössischen Friedhöfen verkrüppeln die Menschen emotional“.
Johannes Heiser (37), Gärtnermeister, Trier
“Wie schön ist die Vorstellung, wenn wir unsere Gedanken und Wünsche, die unseren Tod und unser Danach betreffen, mit den Menschen, die uns ein Leben lang begleiten, teilen würden – und zwar vor unserem Ableben.“
Jacqueline Jansen (29), Filmemacherin, Berlin
Wir sollten Friedhöfe aus einer neuen Perspektive betrachten. Aus Sicht der Menschen, die diese auch nutzen. Vor allem sollten wir auf die Bedürfnisse der Trauernden eingehen, um sie in ihrem eigenen Trauerprozess zu begleiten.
Peter Lendrates (40), Theologe und Diözesanreferent, Katholische Kirche Diözese Stuttgart / Hauptabteilung IV (Pastorale Konzeption)
„Tod und Trauer sind Bestandteile des Lebens; der örtliche Friedhof gehört dazu. Dort wird sichtbar, wie eine Gesellschaft tickt. Ich habe den Eindruck, heute will es niemand mehr wahrhaben. Dies nicht sehen zu wollen, nützt niemanden. Der Friedhof ist nicht nur ein schönes ‚Endlager‘ – er kann mehr! Kontrovers diskutieren, an einem Strang ziehen und mit konstruktiven Vorschlägen die Zukunft gestalten, das muss unser Ziel sein.“
Luisa Lüttig (25), Steinmetzmeisterin, Göppingen
„Ein Friedhof kann ein Spannungsfeld sein. Hier die privaten Beisetzungsorte, dort der öffentliche Raum. Machen wir ihn zukünftig zu einem selbstverständlichen Teil des Alltags, ohne seine primäre Funktion als Ort der Trauer und des Abschiednehmens zu vergessen. Richten wir den Blick nach vorne. Die Welt wird digitaler. Auf Friedhöfen sollten wir in Zukunft eine sensible, für (trauernde) Menschen dienliche Verknüpfung schaffen zwischen der analogen Welt von gestern und der digitalen Welt von morgen.“
Emily Maichle (24), Bestattermeisterin, Geislingen
"Friedhöfe sind – noch! – vielfältige Räume. Nutzen wir dieses Potential! Sie dienen der Stadtgesellschaft, sie sind Natur- und Kulturraum. Wenn wir sie gut gestalten und für das Leben öffnen, ohne ihre Ruhe und Intimität als Beisetzungsort zu zerstören, bieten sie einen unglaublichen Mehrwert für die Menschen, an den kaum ein anderer Ort in den Gemeinden heranreichen kann. Damit das gelingt, müssen Friedhöfe sich den Lebenden und ihren Bedürfnissen zuwenden – um das zu schaffen brauchen sie aber auch die Unterstützung von Politik und Stadtverwaltung."
Lara Schink (33), Friedhofsverwalterin, Verband der Annenfriedhöfe Dresden, Sprecherin des Netzwerks Dresdner Stadtteilfriedhöfe, Dresden
„Rituale und Symbole geben Menschen Halt, besonders dann, wenn nur noch die Erinnerung lebt. Das Grab ist der Ort der Erinnerung. Ein Ort, an dem Trauer erlebt und verarbeitet werden kann. Dies den Angehörigen und auch meinen Schülern zu unterbreiten, sehe ich als meine Aufgabe – als Steinmetzmeisterin und auch als Lehrerin an der Landesberufsschule. Wenn ein Mensch stirbt, hinterlässt er bei seiner Familie und Freunden eine große Lücke. Ein Grab hilft, den Schmerz des Verlusts zu verarbeiten, weil man an diesem Ort dem Verstorbenen immer wieder ganz nah sein kann. Dieser Ort ist nicht nur für die Familie wichtig, sondern auch für Freunde, Bekannte und Kollegen, denen damit eine Möglichkeit gegeben wird, ihrer Erinnerung an den Verstorbenen Ausdruck zu geben. Mir ist es wichtig, nicht nur Jugendlichen, sondern auch Kindern den Umgang mit Trauer, Friedhofskultur und Tod zu unterbreiten. Der Tod darf kein Tabu und der Friedhof nicht negativ behaftet sein. Das Vorbild zählt – wie Erwachsene Kindern den Umgang mit dem Tod vorleben, so nehmen sie diese Erfahrungen auch mit. Trauererfahrungen der Kindheit sind prägend für das Leben.“
Melanie Seidl (35), Steinmetz-Europameisterin 2012 und Fachlehrerin, Österreich