Trotz Kiebitzwetter und Kiebitzschutz geht es dem Vogel des Jahres nicht gut – NABU-Schutzprojekte gehen neue Wege und Kooperationen ein
Als Geschäftsreisender mit Vielfliegerstatus würde er Deutschland eine miese Rezension hinterlassen und so schnell nicht wieder hier landen: Es gibt kaum Platz, die Sicherheitslage ist angespannt und da, wo man seine Ruhe hat, wird es langsam eng. Obwohl Politiker*innen betonen, wie wichtig man für den Standort sei, ändert sich nichts. Auch der Status als Vogel des Jahres bringt außer ein paar Titelseiten keine Bonuspunkte. Ganz im Gegenteil. Der Brutbestand hat seit 1992 um mindestens 88 Prozent abgenommen. Der Kiebitz wird in der Roten Liste als „stark gefährdet“ geführt.
Dabei könnte es ihm so gut gehen. 2024 zeichnet sich durch perfektes Kiebitzwetter aus. Regen und damit feuchte Wiesen bevorzugt der Bodenbrüter für seine Gelege. Diese stehen im Fokus, wenn es darum geht den Bestand zu erhalten. Ein NABU-Schutzprojekt, das das Netz an deutschlandweiten Initiativen erweitert, startete in diesem Jahr in den Vier- und Marschlanden bei Hamburg. Dort mangelt es, wie anderswo auch, durch Flächenversiegelung, Trockenlegung und Umwandlung in Agrarfläche, zunehmend an Wiesen. Seine Eier legt der Kiebitz daher nun auch auf Äckern ab. Der schnell aufwachsende Mais und Landmaschinen machen die Brut allerdings schwer bis unmöglich. Mit Landwirt*innen schließt Ilka Nüske, Referentin für Kiebitzschutz beim NABU Hamburg, daher Kooperationen ab. Die Pflüge und Mäher fahren dann einen Bogen um die Nester oder Nüskes Team steckt Inseln um sie herum ab, die unbearbeitet bleiben. Ernteverluste werden finanziell ausgeglichen. Noch braucht es viel Überzeugungsarbeit. „Aber die Landwirt*innen wollen etwas tun. Einige kennen ihre Kiebitze seit Jahren und achten auf sie,“ so Nüske.
Am MOIN (Michael-Otto-Institut des NABU) in Bergenhusen hebt man in die Vogelperspektive ab. Mit einer durch Spenden finanzierten Drohne mit Wärmebildkamera wird die Landschaft nach Kiebitzen abgescannt. Die Probleme hier sind anders als bei Hamburg, und doch auch gleich. Ausgewiesene Naturschutzgebiete gelten als sichere Rückzugsorte, die sich in der Vogel-Community steigender Beliebtheit erfreuen. „Langsam wird es für die Kiebitze dort aber eng, was neue Gefahren birgt. Fressfeinde haben leichtes Spiel und lernen schnell,“ weiß Helgard Lemke, wissenschaftliche Mitarbeiterin am MOIN. Für Gelege auf bewirtschafteten Landstrichen, wie der Eider-Treene-Niederung, eine 200 Quadratkilometer große Feuchtgrünlandfläche, übernehmen die Vogelschützer*innen daher Hebammenarbeit. Regelmäßig wird nach den registrierten Kiebitzen und ihren Jungen geschaut, Entwicklungen dokumentiert und, falls nötig, Schutzmaßnahmen ergriffen. „Unsere ehrenamtlichen Gebietsbetreuer*innen leisten hier wichtige Arbeit, es sind nur leider nicht mehr sehr viele,“ bedauert Lemke. Nachwuchssorgen gibt es also auf beiden Seiten: auf der der Naturschützer*innen und der der Kiebitze.
Nach und nach machen sich im August und September die letzten Kiebitze bereit zum Abflug. In diesem Jahr werden es schätzungsweise noch etwa 100.000 sein. Mit dem Überflug ins europäische Ausland, wo sie sich dann bis ins nächste Frühjahr niederlassen, wird es für viele von ihnen nicht besser. In Frankreich gilt der kleine schwarz-weiß gefärbte Regenpfeifer als Delikatesse.
Vogelporträt: siehe Link