Fachzeitschrift für den Garten- und Landschaftsbau

Eine neue Methode zur lokalen Luft- und Klimaverbesserung bewährt sich in zahlreichen Metropolen: sogenannte CityTrees, vielgestaltige Stadtmöbel mit einem biologisch aktiven Filter- und Kühlmedium. Nach technischen Startproblemen sicherte die Kooperation des Herstellers mit einem Elektronik-Systemanbieter aus Sachsen-Anhalt Funktionalität und europaweiten Erfolg.

Gutes Klima in London – dank IoT-Einbindung lebendiger Filterflächen aus Moos (Quelle: Green City Solutions)

Elektronikfacharbeiterin Christine Schröter mit KD-Geschäftsführer Ralf Kleinodt bei der Endprüfung eines CityTree-Steuerschranks (Quelle: KD Elektroniksysteme)

Moos hat die natürliche Fähigkeit, Schadstoffe zu binden und abzubauen sowie große Mengen Feuchtigkeit zu verdunsten. Die Green City Solutions GmbH nutzt diese Eigenschaft, um die Belastung der Luft mit Feinstaub, CO2 und anderen schädlichen Substanzen lokal gezielt zu mindern, den Sauerstoffgehalt zu erhöhen und sommerliche Hitze zu reduzieren. Dazu bepflanzt das 2014 gegründete Unternehmen vertikale Flächen seiner neuartigen Stadtmöbel mit dem natürlichen Filtermedium. Die ersten CityTrees gingen noch mit passiven Moos-Filtern an den Start. Die Praxis zeigte jedoch schnell die Schwächen dieses Ansatzes. Denn ohne ständige präzise Zustandserfassung und aktive Einflussnahme auf die klimaaktive Biomasse kann sie nicht optimal versorgt werden. Ausfälle, eine verminderte Umweltwirkung und Skepsis bei kommunalen Anwendern waren die Folge. Zudem gab es Kritik am hohen Energieverbrauch der Systeme und dem beträchtlichen CO2-Äquivalent. GCS-Geschäftsführer Peter Sänger suchte deshalb 2018 dringend einen Elektronikexperten mit IoT-Kompetenz, der eine kontinuierliche, dynamische und zugleich energieoptimierte Fernkontrolle sowie bedarfsabhängige Versorgung der moosbesetzten Filterfelder jedes CityTrees sichert. Diesen Kompetenzzuwachs brachte die auf kundenspezifische Entwicklungsvorhaben spezialisierte KD Elektroniksysteme aus Zerbst (Sachsen-Anhalt).

Der neue Partner entwickelte unter Adaption und Vernetzung verschiedener Systemkomponenten binnen kürzester Zeit ein gänzlich neues System komplexer Schalt- und Steuereinrichtungen, funktionierte die Vertikalgärten so von passiven in aktive Luftfilter um. Eine eigens entwickelte Platine im Schaltschrank jedes CityTrees regelt als Head Unit sämtliche Abläufe in den einzelnen Filter-Modulen. Sie überwacht und steuert den Füllstand des Wassertanks, prüft im Zusammenspiel mit einer in jedem Modul installierten elektronischen Controller Unit die Temperatur und die je nach Sonnenstand und Intensität der UV-Strahlung unterschiedliche Feuchte dort, steuert dann unter anderem bedarfsabhängig Bewässerungs-Ventile. Ihre Sensorik misst zugleich die Feinstaubbelastung an den einzelnen Flächen, erfasst die aktuell zu filternde Partikelgröße und regelt die dafür optimale Luftführung mittels integrierter Lüfter jedes Moduls. Dank der ständig verfügbaren Datenfülle zum Zustand des Filtermaterials kann das vernetzte System sehr dynamisch auf Veränderungen der Umfeldbedingungen reagieren.

Die lokal von diversen Sensoren erfassten Daten werden dazu von den einzelnen Controllern mittels Bussystem an die Head Unit übermittelt. Hier kommt das Gateway als weitere KD-Eigenentwicklung ins Spiel: Über die API-Schnittstelle des Gateways erfolgt die bidirektionale Kommunikation mit dem zentralen Server der Green City Solutions. Verlangt er nach Informationen zu einem beliebigen Klimabaum weltweit, liefert dessen Gateway sie via Cloud nahezu in Echtzeit zur Verarbeitung am GCS-Firmensitz in Bestensee, südlich von Berlin. Ebenso schnell gelangen die resultierenden Steuerbefehle zurück an die Aktoren des Bio-Filters.

„Klingt recht einfach, war für uns aber doch eine komplexe Herausforderung“, bilanziert KD-Geschäftsführer Ralf Kleinodt den Verlauf der Anfang 2019 gestarteten und mit Blick auf eine gerade entstehende neue Generation von CityTrees bis heute andauernden Forschungs- und Entwicklungsarbeiten. Schließlich habe man das IoT in ein Internet of living things überführen müssen. Speziell die akkurate Erfassung der Eigenschaften des organischen Filtermediums und ihre datentechnische Zusammenführung mit modernster Sensorik sowie aktiver Bewässerungs- und Ventilationstechnik sei anspruchsvoll gewesen; Kleinodt spricht von einem „agilen Entwicklungsprozess mit stetigen Sprinteinlagen“. Im Rahmen der „andauernde Abfolge konstruktiver Optimierung“ habe man auch die Energiebilanz des Gesamtsystems durch Weiterentwicklung der Lüfter deutlich verbessert: Ihr Strombedarf sank gegenüber der vorherigen Lösung um den Faktor 5. Wissenschaftliche Unterstützung erhielt das Projekt vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung aus Leipzig und dem Dresdner Institut für Luft- und Kältetechnik.

Zum Erfolg des Vorhabens trug laut Kleinodt auch die enge Zusammenarbeit mit der HEB industrie-elektronik aus dem regionalen Umfeld bei. Der auf elektronische Baugruppen, Geräte und Systeme spezialisierte EMS-Dienstleister habe unter stetigem Zeitdruck Qualität geliefert, unter anderem die Bestückung der Controller Units gesichert. „Für die Konzipierung, Prüfung und Fertigung wiederholt neu ausgelegter Leiterplatten hatten wir mitunter tatsächlich kaum 10 Tage Zeit“, bestätigt HEB-Chef Robert Rathmann. Solche Herausforderungen hätten aber für sein Team besonderen Reiz.

Die KD Elektroniksysteme selbst nutzte bei dem interdisziplinären Vorhaben ihr über zwei Jahrzehnte gewachsenes Know-how bei der Entwicklung und Implementierung kompletter IoT-Systeme. Es floss in die Projektierung und Fertigung sämtlicher Schalt- und Steuereinrichtungen, in die Leiterplattenentwicklung und –programmierung wie auch in die Sensorik-Auslegung und deren Anbindung, sowie in die Schaltung und Installation verteilter Netze samt Anbindung an das Cloud-System des Auftraggebers ein.

Selbst Bau, Bestückung und Montage der Schaltschränke seien im eigenen Haus gesichert worden. Stolz ist man besonders auf die dezentrale Datenerfassung und –aufbereitung in den Controllern der einzelnen Moosfelder. Zwar hatte der Auftraggeber sich ursprünglich Standleitungen mit kontinuierlichem Datenfluss zum Server vorgestellt. Die Zerbster entschieden sich jedoch für einen anspruchsvolleren und effizienteren konzeptionellen Ansatz: Bei ihrer Lösung werden die enorme Informationsflut aus der Vielzahl der Daten-Messpunkte von der Head Unit schon vor Ort analysiert, Werte gemittelt und eine momentane Bilanz gezogen. Lautet die beispielsweise „alles im grünen Bereich“, wird nur diese Information sekündlich erfasst, gesammelt und in Abständen von 20 oder 30 Sekunden gemeinsam mit anderen als Datenpaket in die Cloud geschoben. Im Problemfall, mangelnder Feuchtigkeit etwa, übermittelt das System dagegen detailliertere Angaben zu dem jeweils kritischen Wert und ermöglicht so eine gezielter sofortige Reaktion. Sämtliche Parameter dieser komplexen Abläufe sind dabei mittels einer Config-Datei über die Cloud jederzeit frei einstellbar.

Entscheidende Vorteile der Edge Computing-Lösung von KD gegenüber einem stetigen Datenfluss ohne vorgeschaltete Analytik: Das Volumen des Datenverkehrs zwischen dem einzelnen CityTree und dem Zentralrechner des Betreibers schrumpft massiv, damit sinken auch die Traffic-Kosten und der Energieaufwand im Server. Zudem bricht das Versorgungssystem nicht zusammen, wenn die Datenverbindung zur Zentrale zeitweise gekappt ist: Der lokale Algorithmus regelt das Verhalten des lebendigen Systems dann in einem Notbetrieb.

All diese Ergebnisse überzeugten den Auftraggeber. Peter Sänger nennt KD als Entwicklungs-Dienstleister und inzwischen Lieferanten sämtlicher CityTree-Elektronik einen „starken und verlässlicher Partner“ mit umfassendem Know-how in Bezug auf Vernetzung, IoT und Smart City-Anwendungen. Er habe „ganz wesentlich“ zum Erfolg der CityTrees beigetragen.

Hauptnutzer des multifunktionalen innovativen Angebots sind bislang Kommunen, darunter Metropolen wie London, Paris, Brüssel oder Amsterdam, aber auch deutsche Großstädte wie beispielsweise Hamburg, Berlin, Bonn, Jena oder Stuttgart. Das System eignet sich jedoch ebenso für Event locations, Unternehmen, Schulen oder Behörden und jeden anderen Standort, an dem es auf die lokale Luftqualität besonders ankommt.

Zur Refinanzierung der CityTrees mit Stückkosten um die 40.000 Euro ist deren neueste Generation 3 unter anderem mit einer digitalen Wall map zur Vermietung an Werbekunden oder für örtliche Informations- und Dialogsysteme ausgestattet. Die in Echtzeit verfügbaren, präzisen Daten zur Intensität der lokalen UV-Strahlung, Lufttemperatur oder Feinstaubbelastung an jedem Standort können zudem von Drittkunden genutzt werden, die damit Kosten für eigene Messpunkte sparen. Und natürlich eignen sich die Klimabäume auch zur Übernahme technischer Zusatzfunktionen – etwa durch Bestückung mit Technik für den Ausbau des 5G-Netzes.

Den Wissens- und Erfahrungszuwachs aus dem Projekt wird die KD Elektroniksysteme künftig auch in anderen Bereichen nutzen, etwa bei der Vernetzung und IoT-Anbindung von Steuergeräten in der Gebäudeleittechnik oder der Entwicklung komplexer Platinenlösungen für schaltschrankbasierte Steuer- und Regelsysteme einschließlich deren Komplettfertigung. „Dann gern auch wieder in Zusammenarbeit mit spannenden Start up-Partnern“, sagt KD-Chef Kleinodt. Derartige gemeinsame Projekte seien zwar oft besonders herausfordernd, böten dafür aber für beide Seiten auch enormes Entwicklungspotential.

 

Empfohlen für Sie: